COVID-Reinfektion: Was bedeutet das für Betroffene mit Long COVID?
Aktuelle Studien zum Reinfektionsrisiko bei COVID-19: Kumulative Schäden, Auswirkungen auf bestehende Long-COVID-Symptome und Schutzstrategien.
Für Menschen mit Post-COVID oder Long COVID stellt sich eine bange Frage: Was passiert, wenn ich mich erneut mit COVID-19 infiziere? Die Forschung der letzten Jahre liefert wichtige Erkenntnisse – und sie sind ein starkes Argument für konsequenten Schutz.
Die Kernfrage: Addieren sich die Schäden?
Die kurze Antwort: Ja, das Risiko ist kumulativ.
Eine der umfassendsten Studien zu diesem Thema wurde 2022 in Nature Medicine veröffentlicht. Die Ergebnisse sind eindeutig:1
- Zwei Infektionen erhöhen das Long-COVID-Risiko um das 2,14-fache
- Drei oder mehr Infektionen erhöhen das Risiko um das 3,75-fache
- Die negativen Gesundheitseffekte von zwei Infektionen sind schlimmer als von einer – und drei schlimmer als zwei
Der Immunologe Ziyad Al-Aly, einer der führenden Long-COVID-Forscher, fasst es so zusammen: “Reinfektion trägt sowohl zum Risiko von Long COVID bei Menschen bei, die es noch nicht haben, als auch zur Verschlechterung bestehender Long-COVID-Symptome. Oder es können neue Symptome auftreten, die man vorher nie hatte.”2
Was passiert bei Reinfektion, wenn man bereits Long COVID hat?
Die Studienlage
Eine britische Patientenbefragung von 2022 ergab alarmierende Zahlen:3
- 80% der Menschen mit bestehendem Long COVID erlebten eine Verschlechterung nach Reinfektion
- 85% erlebten eine Rückkehr früherer Symptome
- 60% der Patienten, die sich in Erholung oder Remission befanden, erlitten einen Rückfall
Nur eine Minderheit berichtete von Verbesserungen einzelner Symptome nach der Reinfektion.
Neue Symptome möglich
Besonders beunruhigend: Eine Reinfektion kann nicht nur bestehende Symptome verschlimmern, sondern auch völlig neue Symptome auslösen, die bei der ersten Infektion nicht auftraten.
Erstinfektion vs. Reinfektion: Unterschiedliche Risiken
Wann entsteht Long COVID am häufigsten?
Die Daten zeigen ein interessantes Muster:4
- 89% der Long-COVID-Fälle entstehen nach der ersten Infektion
- 10% nach der zweiten Infektion
- 1% nach der dritten oder weiteren Infektion
Das bedeutet: Die erste Infektion birgt das höchste Risiko, Long COVID zu entwickeln. Bei Reinfektionen ist das Risiko für neues Long COVID geringer – aber es besteht weiterhin.
Das Risiko bleibt
Eine 2023 veröffentlichte Kohortenstudie beziffert das Risiko:5
“Reinfektion trägt ein geringeres Risiko für neu auftretendes Long COVID als eine Erstinfektion bei Personen ab 16 Jahren, obwohl ein gewisses Risiko bestehen bleibt – etwa 1 von 40 zweiten Infektionen führt zu Long COVID.”
Wichtig: Auch milde oder asymptomatische Infektionen und Reinfektionen können zu Long COVID führen.
Kumulative Organschäden
Mehrfache Systeme betroffen
Die Forschung zeigt, dass Reinfektionen das Risiko für Komplikationen in mehreren Organsystemen erhöhen:1
- Kardiale Probleme (Herz)
- Pulmonale Probleme (Lunge)
- Neurologische Probleme (Gehirn, Nervensystem)
Diese kumulativen Risiken betreffen vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen – aber auch jüngere Betroffene sind nicht immun.
Fatigue und Funktionseinschränkungen
Mit jeder Reinfektion steigen:2
- Die Schwere der Fatigue
- Die Wahrscheinlichkeit funktioneller Einschränkungen (z.B. Schwierigkeiten beim Anziehen, Baden)
- Einschränkungen bei moderaten Aktivitäten
Aktuelle Zahlen: Long-COVID-Prävalenz 2020–2024
Eine vierjährige Kohortenstudie aus Saudi-Arabien (2025) zeigt eine interessante Entwicklung:6
| Zeitraum | Long-COVID-Prävalenz |
|---|---|
| 2020–2021 | 34,7% |
| 2021–2022 | 30,1% |
| 2022–2023 | 26,8% |
| 2023–2024 | 23,2% |
Die Prävalenz sinkt – möglicherweise durch Immunität, mildere Varianten und verschiedene Faktoren. Aber: Fast jeder Vierte entwickelt noch immer Long COVID nach einer Infektion.
Was bedeutet das für Betroffene?
Für Menschen mit Long COVID
-
Reinfektionen möglichst vermeiden
- FFP2-Masken in Risikosituationen
- Gut belüftete Räume
- Impfungen aktuell halten
- Menschenmengen in Infektionswellen meiden
-
Bei Reinfektion: Besonders vorsichtig sein
- Strikte Ruhe während der akuten Phase
- Keine “Durchhalte”-Mentalität
- Symptome genau beobachten
- Frühzeitig ärztlichen Rat suchen
-
Therapieplanung anpassen
- Nach Reinfektion eventuell Therapiepause
- Neu evaluieren, wenn sich Symptome verändert haben
- Langfristige Strategie mit Behandlern besprechen
Für Menschen ohne Long COVID
Auch wer bisher keine Langzeitfolgen hatte, sollte vorsichtig sein:
- Jede Infektion ist ein Risiko – auch milde Verläufe
- Das Risiko addiert sich mit jeder Infektion
- Prävention bleibt wichtig – auch Jahre nach Pandemiebeginn
Die Forschung geht weiter
RECOVER-Initiative
Die NIH-finanzierte RECOVER-Initiative untersucht Long COVID in großem Maßstab. Eine 2024 veröffentlichte Analyse von Patientendaten bestätigt:7
- Reinfektionen führen zu einem höheren Long-COVID-Risiko
- Die Ergebnisse stimmen mit früheren Studien überein
- Weitere Forschung ist notwendig, um Schutzmechanismen zu verstehen
Offene Fragen
Die Wissenschaft arbeitet noch an Antworten auf:
- Welche Faktoren bestimmen, wer bei Reinfektion Long COVID entwickelt?
- Wie lange hält der Schutz nach Impfung oder Infektion?
- Gibt es Behandlungen, die das Reinfektionsrisiko senken?
Was bedeutet das für Menschen mit Post-Vac-Syndrom?
Die Gemeinsamkeit: Spike-Protein
Eine aktuelle Yale-Studie (LISTEN-Studie, 2025) liefert wichtige Erkenntnisse zum Post-Vac-Syndrom:8
Bei einigen Betroffenen wurde Spike-Protein noch über 700 Tage nach der letzten Impfung nachgewiesen – obwohl es normalerweise nur wenige Tage nach der Impfung messbar ist. Dieses persistierende Spike-Protein wird auch bei Long COVID beobachtet.
Die Forscherin Akiko Iwasaki von Yale kommentiert: “Das war überraschend, Spike-Protein zu einem so späten Zeitpunkt im Blutkreislauf zu finden.”
Die logische Konsequenz
Wer auf die COVID-Impfung mit einem Post-Vac-Syndrom reagiert hat, hat die Impfung offensichtlich nicht vertragen. Das I-RECOVER-Protokoll empfiehlt daher:9
“Patienten mit Post-Vac-Syndrom dürfen keine weiteren COVID-19-Impfstoffe jeglicher Art erhalten.”
Gleichzeitig gilt: Eine COVID-19-Infektion kann die Symptome des Post-Vac-Syndroms verschlechtern, da auch bei der Infektion Spike-Protein produziert wird.
Das Dilemma für Post-Vac-Betroffene
Menschen mit Post-Vac-Syndrom befinden sich in einer schwierigen Situation:
- Weitere Impfungen werden nicht empfohlen
- COVID-Infektionen sollten vermieden werden, da sie die Symptome verschlimmern können
- Schutzmaßnahmen (Masken, Luftfilter, Meiden von Menschenmengen) gewinnen besondere Bedeutung
Die Studienlage zu Post-Vac und Reinfektion ist noch begrenzt. Betroffene sollten ihre individuelle Situation mit erfahrenen Ärzten besprechen.
Für Betroffene: Schutz ernst nehmen
Die Botschaft der Forschung ist klar:
- Reinfektionen sind nicht harmlos – auch wenn sie oft mild verlaufen
- Das Risiko ist kumulativ – jede Infektion zählt
- Bestehende Long-COVID-Symptome können sich verschlechtern
- Post-Vac-Betroffene sollten besonders vorsichtig sein
Für Menschen, die bereits mit Post-COVID, ME/CFS oder Post-Vac-Syndrom kämpfen, bedeutet das: Der Schutz vor Reinfektion sollte ein wichtiger Teil der Gesamtstrategie sein – neben Therapie, Pacing und Symptommanagement.
Beratungsgespräch
Sie haben Fragen zu Long COVID oder Therapieoptionen? Wir beraten Sie gerne.
Quellen
Footnotes
-
Al-Aly Z, Bowe B, Xie Y. Acute and postacute sequelae associated with SARS-CoV-2 reinfection. Nature Medicine. 2022. DOI: 10.1038/s41591-022-02051-3 ↩ ↩2
-
CIDRAP. COVID-19 reinfection ups risk of long COVID, new data show. cidrap.umn.edu ↩ ↩2
-
Gavi. New survey suggests reinfection worsens Long COVID. gavi.org ↩
-
UNMC. Every COVID Infection Increases Your Risk of Long COVID, Study Warns. unmc.edu ↩
-
PMC. Risk of New-Onset Long COVID Following Reinfection with SARS-CoV-2: A Community-Based Cohort Study. pmc.ncbi.nlm.nih.gov ↩
-
BMC Infectious Diseases. Long COVID-19: a Four-Year prospective cohort study. 2025. bmcinfectdis.biomedcentral.com ↩
-
Nature Communications Medicine. Insights from an N3C RECOVER EHR-based cohort study characterizing SARS-CoV-2 reinfections and Long COVID. 2024. nature.com ↩
-
Yale News. Immune markers of post-vaccination syndrome indicate future research directions. 2025. news.yale.edu ↩
-
I-RECOVER: Post-Vaccine Treatment Protocol. Independent Medical Alliance. imahealth.org ↩