Grundlagen 10 Min. Lesezeit

Milde vs. Standard-HBOT: Warum wir auf sanften Druck setzen

Warum milde hyperbare Sauerstofftherapie (1,3 ATA) besonders für Post-COVID, ME/CFS und schwer Betroffene geeignet ist. Wirkmechanismen, Verträglichkeit und unser Therapieansatz.

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Hyperbare Sauerstofftherapie ist nicht gleich hyperbare Sauerstofftherapie. Während in der Forschung oft Protokolle mit 2,0 ATA verwendet werden, setzen wir im Sauerstoffzentrum Nordost bewusst auf milde HBOT mit 1,3 ATA. Der Grund: Für viele unserer Patienten – insbesondere Menschen mit Post-COVID, ME/CFS oder anderen schweren chronischen Erkrankungen – ist der sanftere Ansatz nicht nur verträglicher, sondern oft auch wirksamer.

Was bedeutet “ATA”?

ATA steht für “Atmosphären absolut” und beschreibt den Druck in einer Druckkammer:

ATAEntsprichtVergleich
1,0 ATANormaler LuftdruckMeereshöhe
1,3 ATA+30% über normalca. 3 Meter Wassertiefe
2,0 ATADoppelter Luftdruckca. 10 Meter Wassertiefe

Je höher der Druck, desto mehr Sauerstoff löst sich im Blutplasma. Doch mehr ist nicht immer besser – besonders bei geschwächten Patienten.

Die besondere Situation bei Post-COVID und ME/CFS

Menschen mit Post-COVID-Syndrom, ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) oder ähnlichen Erkrankungen befinden sich in einer besonderen Lage:

Die Herausforderung

  • Extreme Erschöpfung – selbst geringe Belastungen können Crashs auslösen
  • Post-Exertional Malaise (PEM) – Verschlechterung nach Anstrengung
  • Gestörte Energieproduktion – Mitochondrien arbeiten nicht optimal
  • Überempfindliches Nervensystem – reagiert stark auf Reize
  • Dysautonomie – das autonome Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht

Warum Standard-HBOT problematisch sein kann

Bei 2,0 ATA erfährt der Körper eine deutlich höhere Belastung:

  • Stärkerer Druckunterschied bedeutet mehr Stress für den Körper
  • Höhere Sauerstoffkonzentration kann oxidativen Stress auslösen
  • Die Behandlung selbst kann als “Anstrengung” wahrgenommen werden
  • Bei ME/CFS-Patienten kann dies PEM triggern

Das Paradox: Eine Therapie, die helfen soll, kann bei zu hoher Intensität genau das Gegenteil bewirken.

Milde HBOT: Der sanfte Weg zur Wirkung

Unser Ansatz: Zeit statt Druck

Bei milder HBOT setzen wir auf ein anderes Prinzip: Wir kompensieren den geringeren Druck durch mehr Zeit und Regelmäßigkeit.

AspektStandard-HBOTMilde HBOT (unser Ansatz)
Druck2,0 ATA1,3 ATA
Sitzungen/Tag11–2 möglich
VerträglichkeitBelastenderSehr gut verträglich
Für schwer BetroffeneOft zu intensivIdeal geeignet
CrashrisikoErhöhtMinimal

Die Vorteile der milden HBOT

1. Hervorragende Verträglichkeit

  • Sanfter Druckaufbau und -abbau
  • Geringere Belastung für das autonome Nervensystem
  • Kein Auslösen von Post-Exertional Malaise
  • Auch für sehr geschwächte Patienten geeignet

2. Flexiblere Behandlungsintensität

  • Bei guter Verträglichkeit sind 2 Sitzungen pro Tag möglich
  • Die kumulative Sauerstoffexposition kann so erhöht werden
  • Individuell anpassbar je nach Tagesform

3. Längere Behandlungsserien möglich

  • Gut verträglich über viele Wochen
  • Keine Ermüdung durch die Therapie selbst
  • Nachhaltige Effekte durch regelmäßige Anwendung

Die Wissenschaft dahinter

Wirkmechanismen auch bei mildem Druck

Die therapeutischen Effekte der HBOT basieren auf mehreren Mechanismen, die auch bei 1,3 ATA aktiviert werden:

1. Erhöhte Sauerstoffversorgung

Selbst bei 1,3 ATA steigt der gelöste Sauerstoff im Plasma auf das 5-fache des Normalwerts.1 Dieser zusätzliche Sauerstoff:

  • Erreicht auch minderdurchblutete Gewebe
  • Unterstützt die mitochondriale Funktion
  • Verbessert die zelluläre Energieproduktion

2. Hyperoxisch-hypoxischer Paradox

Der Körper reagiert auf die erhöhte Sauerstoffzufuhr mit Anpassungen:

  • Aktivierung von HIF-1α (Hypoxie-induzierbarer Faktor)
  • Stimulation von Wachstumsfaktoren
  • Anregung der körpereigenen Reparaturmechanismen

Dieser Effekt tritt auch bei mildem Druck auf – die Schwelle liegt nicht bei 2,0 ATA.

3. Entzündungsmodulation

HBOT moduliert Entzündungsprozesse:

  • Reduktion proinflammatorischer Zytokine
  • Unterstützung der Immunregulation
  • Besonders relevant bei Post-COVID mit persistierender Inflammation

4. Mitochondriale Unterstützung

Die Mitochondrien profitieren von der verbesserten Sauerstoffversorgung:

  • Effizientere ATP-Produktion
  • Reduzierter oxidativer Stress bei mildem Druck
  • Unterstützung der geschädigten Energiekraftwerke

Warum die Studienlage differenziert betrachtet werden muss

Die meisten HBOT-Studien wurden mit 2,0 ATA durchgeführt – aber das bedeutet nicht, dass nur dieser Druck wirksam ist:

Studienpraktische Gründe für 2,0 ATA:

  • Stärkere Effekte pro Sitzung erleichtern statistische Signifikanz
  • Kürzere Studiendauer möglich
  • Etablierte Protokolle in Forschungszentren

Klinische Realität:

  • Nicht alle Patienten vertragen 2,0 ATA
  • Besonders chronisch Kranke brauchen sanftere Ansätze
  • Langzeitbehandlung bei mildem Druck oft praktikabler

Die Harch-Studie (2012) zu Post-Gehirnerschütterungssyndrom zeigte bereits, dass milde HBOT bei 1,5 ATA signifikante Verbesserungen bei neurologischen Symptomen erreichen kann.2

Vergleichbare Ergebnisse bei milderem Druck: Eine große Studie mit 565 Patienten fand keinen signifikanten Unterschied zwischen 1,5 und 2,0 ATA – beide Drücke waren gleich wirksam, wobei 1,5 ATA weniger Nebenwirkungen zeigte.3 Auch bei diabetischen Wundheilungsstörungen wurden vergleichbare Ergebnisse bei beiden Drücken dokumentiert, mit weniger Barotrauma bei 1,5 ATA.4

Für sensible Patienten mit ME/CFS oder Post-COVID kann der mildere Druck daher vorteilhafter sein: gleiche therapeutische Wirkung bei besserer Verträglichkeit.

Für wen ist milde HBOT besonders geeignet?

Ideale Kandidaten

Post-COVID / Long-COVID

  • Chronische Fatigue und Erschöpfung
  • Brain Fog und kognitive Einschränkungen
  • Belastungsintoleranz
  • Autonome Dysfunktion (POTS)

ME/CFS

  • Schwere Erschöpfung mit PEM
  • Patienten, die Standard-Therapien nicht vertragen
  • Langsame, schonende Behandlung gewünscht

Post-Vac-Syndrom

  • Ähnliche Symptomatik wie Post-COVID
  • Oft hohe Sensibilität
  • Sanfter Einstieg wichtig

Weitere Indikationen

  • Fibromyalgie mit hoher Empfindlichkeit
  • Chronische Erschöpfung verschiedener Ursachen
  • Patienten mit Angst vor “zu viel” Therapie
  • Ältere oder geschwächte Patienten

Wann Standard-HBOT sinnvoller sein kann

Es gibt Situationen, in denen höhere Drücke indiziert sind:

  • Akute Wundheilungsstörungen
  • Diabetischer Fuß mit kritischer Ischämie
  • Strahlenschäden nach Krebstherapie
  • Kohlenmonoxidvergiftung (Notfall)

Diese Indikationen behandeln wir nicht – hier ist eine spezialisierte Klinik mit Standard-HBOT der richtige Ansprechpartner.

Unser Behandlungsprotokoll

Standard-Protokoll

  • Druck: 1,3 ATA
  • Sauerstoff: 100%
  • Dauer: 60 Minuten pro Sitzung
  • Frequenz: 1–2 Sitzungen pro Tag (je nach Verträglichkeit)
  • Überwachung: Medizinisches Personal vor Ort
  • Atmosphäre: Entspannte Mehrplatzkammer

Individueller Therapieplan

Jeder Patient ist anders. Wir passen das Protokoll an:

Bei guter Verträglichkeit:

  • Bis zu 2 Sitzungen täglich möglich
  • Intensivere Behandlungsphase über mehrere Wochen
  • Maximale kumulative Sauerstoffexposition

Bei hoher Sensibilität:

  • Langsamer Einstieg mit kürzeren Sitzungen
  • Schrittweise Steigerung
  • Engmaschige Beobachtung der Reaktion

Langzeitbegleitung:

  • Erhaltungssitzungen nach Intensivphase
  • Flexible Anpassung an den Alltag
  • Dauerhafte Unterstützung möglich

Häufige Fragen

”Ist milde HBOT weniger wirksam?”

Nicht unbedingt. Die Wirksamkeit hängt von der Gesamtdosis ab – also Druck × Zeit × Sitzungszahl. Bei milder HBOT kompensieren wir den geringeren Druck durch:

  • Mehr Sitzungen
  • Möglichkeit von 2 Sitzungen täglich
  • Längere Behandlungsserien

”Warum nicht einfach Standard-HBOT versuchen?”

Bei Post-COVID und ME/CFS kann eine zu intensive Therapie einen Crash auslösen, der Wochen der Erholung zunichte macht. Der sanfte Einstieg ist sicherer und nachhaltiger.

”Wie lange dauert eine Behandlungsserie?”

Das hängt von der individuellen Situation ab:

  • Intensivphase: Typischerweise 4–8 Wochen
  • Erhaltung: Nach Bedarf, z.B. 1–2x pro Woche
  • Langzeit: Manche Patienten profitieren von regelmäßiger Anwendung über Monate

”Kann ich die Behandlung abbrechen, wenn es mir schlechter geht?”

Selbstverständlich. Bei milder HBOT ist das Abbruchrisiko durch Nebenwirkungen jedoch sehr gering. Die meisten Patienten vertragen die Behandlung problemlos.

Der richtige Druck für jeden Patienten

Milde HBOT (1,3 ATA) ist nicht “weniger” als Standard-HBOT – sie ist anders:

  • Sanfter – ideal für geschwächte und sensible Patienten
  • Verträglicher – kein Auslösen von Crashs oder PEM
  • Flexibler – mehr Sitzungen pro Tag möglich
  • Nachhaltiger – Langzeitbehandlung gut durchführbar
  • Wirksam – die therapeutischen Mechanismen sind aktiviert

Für Menschen mit Post-COVID, ME/CFS und ähnlichen Erkrankungen ist milde HBOT oft der bessere Weg: Nicht weil sie weniger kann, sondern weil sie auf die besonderen Bedürfnisse dieser Patientengruppe eingeht.

Standard-HBOT (2,0 ATA) hat ihre Berechtigung:

  • Stärkere Effekte pro Sitzung
  • Gut dokumentiert in Studien
  • Sinnvoll bei robusten Patienten und bestimmten Indikationen

Die Kunst liegt darin, das richtige Protokoll für den richtigen Patienten zu wählen. Im Sauerstoffzentrum Nordost haben wir uns bewusst für milde HBOT entschieden – weil wir unsere Patienten kennen und wissen, was sie brauchen.


Quellen


Beratungsgespräch

Sie leiden unter Post-COVID, ME/CFS oder chronischer Erschöpfung und möchten wissen, ob milde HBOT für Sie geeignet ist? Wir beraten Sie gerne – einfühlsam und ohne Druck.

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Footnotes

  1. Qu C, et al. Effects of mild hyperbaric oxygen therapy on timing sequence recovery of muscle fatigue in Chinese university male athletes. J Exerc Sci Fit. 2024;22(4):305-315. DOI: 10.1016/j.jesf.2024.04.005

  2. Harch PG, et al. A phase I study of low-pressure hyperbaric oxygen therapy for blast-induced post-concussion syndrome and post-traumatic stress disorder. J Neurotrauma. 2012;29(1):168-185. DOI: 10.1089/neu.2011.1895

  3. Vergleichsstudie 1,5 vs 2,0 ATA bei intrazerebraler Blutung (565 Patienten). Siehe: HBOT Pressure Comparison – Oxygens UK

  4. Faglia E, et al. Diabetic foot ulcer healing: Comparison of 1.5 vs 2.0 ATA. Siehe auch: Aviv Clinics FAQ und Sagol Center – Traumatic Brain Injury

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